Eisenvogel
Es ist bald ein Jahrhundert her, daß Mola, meine Großmutter als Kleinkind die wohl jüngste Nonne Tibets war. Sie konnte noch kaum richtig sprechen, war aber damals schon fasziniert von den Nonnen des Klosters Ahne, die ihre Tage im nahen Tempel zubrachten. Dort beteten, sangen und meditierten sie mit kahlrasierten Köpfen. Mola wollte so werden wie diese Frauen. Sie wollte sich auch die Haare scheren und dieselben roten und gelben Gewänder tragen, sie wollte genauso würdevoll und ruhig und heilig sein wie sie.
Mola band sich ihre kleine Tochter mit einem großen Tuch so fest auf den Rücken, daß kein Wind und keine Kälte zwischen sie beide fahren konnte, bevor alle noch einmal in den Tempel gingen. Tsering und Mola warfen sich zu Boden, beteten ein letztes Mal zu den Gottheiten. „Seine Heiligkeit, der Dalai Lama, hat das Land verlassen“, murmelte Mola, „wir müssen nun auch fort. Bitte schützt uns und wacht über uns.“ Dann war es Zeit für den Aufbruch in eine ungewisse Zeit....